Reinhold Gall, SPD-Innenminister demonstriert wie sich ein Politiker mit einem einzigen Tweet vollkommen unmöglich machen kann. Ein Lehrstück, wie politische Kommunikation auf Twitter nicht funktioniert.
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Wie politische Kommunikation in Social Media nicht funktioniert
Social Media ist ein mächtiges Werkzeug für die politische Kommunikation. Fast schon legendär sind beispielsweise die Social Media-Kampagnen von Barack Obama, die sicher nicht unbeträchtlichen Einfluss auf seine Wahlsiege hatte.
Das genaue Gegenteil ist dieser Tage in der deutschen Provinz zu beobachten. In Baden Württemberg gelingt es dem Innenminister Reinhold Gall gerade, sich selbst und seine Partei noch mehr in Misskredit zu bringen, als es nach dem Votum der Sozialdemokraten für die Vorratsdatenspeicherung ohnehin der Fall gewesen wäre.
Es war vermutlich dem Augenblick des Triumphs geschuldet, dass Gall über seinen Tweet vom 20. Juni nicht so richtig nachgedacht hat. Nach innerparteilicher Debatte hat die SPD beschlossen, das Vorhaben der Bundesregierung, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, zu unterstützen. Gall, Unterstützer der VDS animierte dies zu folgendem Tweet:
Ich verzichte gerne auf vermeintliche Freiheitsrechte wenn wir einen Kinderschänder überführen.
— Reinhold Gall (@reinholdgall) 20. Juni 2015
Punktlandung. Genau so wird ein Shitstorm ausgelöst. Wenig verwunderlich ist, dass ein so klares Bekenntnis für die Vorratsdatenspeicherung auf einem Medium wie Twitter Unmut auslöst. Das ist auch nicht das Problem.
Nazi-Jargon und Missachtung des Grundgesetzes
Problematisch sind eher zwei Formulierungen (von der abstrusen Argumentation abgesehen) und der Umgang mit der postwendend folgenden Kritik: 1. „Vermeintliche Freiheitsrechte“ – Eine solche Formulierung aus dem Munde eines Innenpolitikers, der seinen Amtseid auf das Grundgesetz geleistet hat ist schon bemerkenswert. 2. „Kinderschänder“ – Auch wenn der Begriff inzwischen auch in den Boulevardmedien geläufig ist, handelt es sich dabei um einen NS-Vokabular das von seriösen Kinderschutzorganisationen abgelehnt wird. Die Kritik folgte umgehend.
@reinholdgall Kinder müssen herhalten, wenn fragwürd. Methoden propagiert werden. Hätte #VDS Odenwaldschule und Canisiuskolleg verhindert? — Michael Pückler (@MichaelPueckler) 20. Juni 2015
@reinholdgall Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Es gibt keine vermeintliche Freiheit. #VDS
— Marcus Schwarze (@MarcusSchwarze) 20. Juni 2015
.@reinholdgall Schon die Benutzung des Begriffes „Kinderschänder“ offenbart, dass Ihnen das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder egal ist. — van Toffelpunk (@pantoffelpunk) 21. Juni 2015
Social Media ist keine Einbahnstraße!
Reinhold Gall reagierte mit keinem einzigen Posting auf die zahlreichen Antworten auf seinen Tweet. Stattdessen Business as usual: Gall zwitschert das provinzpolitische Tagesgeschehen als wäre nichts gewesen.
Natürlich wird auf das von einigen Twitter-Usern kritisiert und höhnisch kommentiert. Von Gall weiter kein Kommentar.
.@reinholdgall Machen Sie sich vor Ort auf die Suche nach „geschändeten“ Kindern? Dafür gibt’s doch bald die #VDS!
— Tom Bolalos (@TomBolalos) 22. Juni 2015
@reinholdgall wohnt da nicht auch der vermeintliche Hotzenplotz? — Christoph Kappes (@ChristophKappes) 21. Juni 2015
Es steht zu vermuten, dass Gall noch immer nicht mitbekommen hat, dass er auf Twitter seit Samstag Abend ein großes Thema ist. Seinen Account pflegt er mutmaßlich gar nicht selbst und ist deshalb womöglich nicht im Bilde. Ob seine Mitarbeiter die Antworten auf seine Tweets lesen und ihrem Chef kuratieren ist fraglich.
Fest steht, dass Social Media keine Einbahnstraßenkommunikation ist. Wer sich entschließt, diesen Kanal zu bespielen, sollte sich im Klaren sein, dass ein größerer Aufwand nötig ist, als nur täglich ein Routine-Posting abzusetzen das in gleichem Wortlaut auf verschiedenen Plattformen erscheint (hier: Twitter und Facebook). Und er sollte sich im Klaren sein, dass es Formulierungen gibt, die eich schnelles Echo hervorrufen.
Wenn man künftig erklären möchte, wie Shitsorms ausgelöst werden können, dann kann man Reinhold Galls Aktivitäten auf Twitter allerdings als Paradebeispiel heranziehen. Danke dafür.